Janko Nikolić: Vorwort zu „Irdische Geschichten mit himmlischer Bedeutung“

Nach der in der Bibel dargestellten Offenbarung Gottes und der Verkündigung der Apostel entschleiert Jesu Persönlichkeit nicht nur den Gott in Ihm (sowie Gott im Fleisch), sondern enthüllt vor allem einen König. Der Engel Gabriel hat Maria verkündet, dass sie ein Kind gebären wird, das den königlichen Thron Davids erben wird, sodass es ewig über das auserwählte Volk regieren wird (Lk 1,31-33). Als Pilatus Jesus fragte, ob Er wirklich ein König sei, bestätigt Dieser: „Ich bin dazu geboren“ (Joh 18,37). Übereinstimmend mit diesem Bewusstsein hat Christus nicht nur über Sich selbst gepredigt, das heißt über Seine eigene Gottheit. Jesus kündigte den Menschen die Ankunft Seines Königtums an, Seines Reiches. Nur im Zusammenhang mit dieser Verkündigung können wir die Verwendung von Gleichnissen zur Vermittlung der messianischen Botschaft verstehen. „Parabel – παραβολἠ – bedeutet einen allgemeinen Vergleich oder eine Parallele, wobei etwas Bestimmtes verwendet wird, um etwas Anderes zu veranschaulichen. Die Ähnlichkeit wird aus dem Bereich der realen oder sinnlichen (wahrnehmbaren) oder irdischen Ereignisse übernommen, um die ideale, geistige oder himmlische Bedeutung zu übermitteln.“ (Catholic Encyclopedia). Evangelische Gleichnisse beginnen oft mit den Worten: „Das Himmelreich ist wie …“ , worin mit dem Wortbestandteil „Himmel“ die besondere Qualität der zukünftigen Herrschaft des Messias angedeutet wird. Jesus war weder ein gewöhnlicher König, noch kann Sein Reich anhand der üblichen Vorstellungen von sozio-politischen Systemen der Welt wahrgenommen werden. Die neue Art von Herrschaft dieses ungewöhnlichen Predigers ist eine ganz andere: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt […] Mein Reich [ist] nicht von hier“ (Joh 18,36). Tatsächlich verkündet der Messias den endgültigen Triumph der Wahrheit und Gerechtigkeit. Er offenbart Sich als das „Licht“, das die Betrachtungsweise eines jeden erhellen soll, der nur das „Hier und Jetzt“ kennt. „Womit soll Ich das Reich Gottes vergleichen?“ (Lk 13,18), sagt Jesus.

„Und durch viele solche Gleichnisse sagte Er ihnen das Wort so, wie sie es zu hören vermochten. Und ohne Gleichnisse redete Er nicht zu ihnen“ (Mk 4:33-34). Landwirtschaftliche Tätigkeiten, Gerichtsverfahren, Familiendramen, Hochzeiten, Beziehungen zwischen Freunden und Nachbarn, Raub und die Mutwilligkeit der Reichen, das Leiden der Armen, Ziegen und Schafe, die Herstellung von Brot usw., alle diese Aktivitäten werden verwendet, um das „Himmelreich“ darzustellen, und die Übertragung der Bedeutung bildet das, was wir eine Parabel nennen. Daher warnt der Redner die Zuhörer: „So seht nun darauf, wie ihr zuhört“ (Lk 8,18). Das Gleichnis ist „Spiegel und Rätsel“ (1 Kor 13,12). Es erscheint wie eine einfache Geschichte des täglichen und irdischen Lebens, hat aber eine himmlische Bedeutung. Der Unterschied zu Metapher oder Weisheitslehre ist subtil, aber fundamental. Gleichnisse aus dem Evangelium sind prophetischen Charakters und verkünden die Ereignisse, die beim Zweiten Kommen Christi geschehen werden, weniger ein ethisches System. Sie regen beim Zuhörer Fragen an, Besinnung, aber man kann sie nicht besitzen, wie man die Definition eines metaphysischen Systems besitzen kann. Doch das Erkennen ihrer Bedeutung ist nicht das Ziel, sondern die Frucht des geistlichen Lebens.

Nachdem sich die Christen an jene Realität, die die Gleichnisse erzählen, anpassen, abhängig von der Genauigkeit der spirituellen Angleichung, offenbaren die Gleichnisse ihre Bedeutung vor den Augen der Gläubigen, oder sie bleiben verschlossen.

Doch zuerst kommt der Glaube und danach das Wissen.

Um die spirituelle Bedeutung der Gleichnisse Christi zu erfassen, muss man den Text wortwörtlich durchgehen. Die Kohärenz des biblischen Textes ist der einzig richtige Rahmen, in dem sich die Weite der spirituellen Erkenntnis entwickelt und erschließt. Genau diese Dialektik können wir in der Arbeit von Nikola Sarić sehen. Der Maler zeigt uns die Kunst, in der die Religion und der persönliche Glaube die Prämisse des künstlerischen Ausdrucks sind.

Der begrenzte Kanon der Ikonenmalerei (oder anderer antiker Malweisen), verwandelt sich durch lebendiges Erlebnis der biblischen Themen in eine fruchtbare Interpretation der Tradition; sich selbst treu bleibend, widerspiegelt diese Tradition die Neuheit der erlebten Erfahrung. Auf diese Weise reflektieren Nikolas Ikonen die Tradition, die atmet und sich innerhalb der Konzepte des modernen Menschen entwickelt.

Tatsächlich begibt sich der Künstler nicht allzu sehr auf die Ebene der zeitgenössischen Sichtweisen in Bezug auf Bildaussagen, er hält sich nicht an Formalitäten fest, sondern er versucht die Essenz der biblischen Verkündigung darzustellen.

Die Gleichnisse Christi werden in diesen Bildern in ihrer Unmittelbarkeit und Einfachheit sichtbar gemacht.Auch wenn sie viele Details der erzählten Ereignisse enthalten, auch wenn es auf den ersten Blick nicht klar ist, was für ein Gleichnis es ist – die Botschaft, die übertragen wird, ist klar und eindeutig. Christi Botschaft über das Himmelreich ist die Botschaft von der Ankunft des Lichts, sie ist eine Botschaft der Freundschaft, der Barmherzigkeit und Reue, und sie ist der Aufruf an die Menschen, in diese neue Welt einzutreten und den Kampf gegen Finsternis, Selbstsucht und Selbstisolation aufzunehmen. Die Rettung vor der Finsternis und dem Bösen ist als freudige Begegnung mit anderen, wie auch durch eine Tafel mit Freunden oder durch die Pflege von Tieren dargestellt.

Durch Nikolas Kunstfertigkeit erschließt sich dem Betrachter die Substanz der evangelischen Parabeln durch ein fröhliches Panorama von Farben und Figuren, deren harmonische Fügung der kindlichen Phantasie des Künstlers entspricht, aber auch der endgültige Botschaft der Bibeltexte, einer Botschaft der Hoffnung. „Seien Sie wie die Kinder beim Betreten des Himmelreichs“ kann eine Paraphrase von Jesu Aufruf sein (Mt 18,3), dessen Botschaft in Sarić‘ künstlerischem Temperament deutlich zu sehen ist.

Natürlich sollte angemerkt werden, dass Jesus zu den Menschen, die Ihn aufsuchten, nur in Gleichnissen gesprochen hat, während Er die wahre Bedeutung der Gleichnisse nur Seinen Jüngern enthüllte. Das Thema des Kampfes zwischen Gut und Böse oder zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, der im Inhalt der Parabeln oft überwiegt, ist kein Selbstzweck zum moralischen Tadel der Einzelnen. Das ethische Gewand dieser Geschichten ist der „Angelhaken“ der mystischen Rede, deren größere Weite man nur in künstlerischen Werken wahrnehmen kann, die nicht Ersatz für den biblischen Text sind, sondern ein Hilfsmittel, um diesen zu verstehen. Die Charaktere und Ereignisse in den Gleichnissen sind vielmehr Personifikationen der eschatologischen Akteure und Ereignisse, deren Bedeutung über bloß weltliche Erwägungen über den Unterschied zwischen Gut und Böse (gutes Verhalten und schlechtes Verhalten) hinaus geht. Nur ein Maler kann die Dimension des kosmische Dramas wiedergeben, das in den Gleichnissen versteckt ist, mit Farben den Gegensatz von Leben und Tod als Gegenüberstellung von Licht und Dunkelheit darstellen.

Gerade diese verborgene Bedeutung der Gleichnisse Christi können wir in den Ikonen von Nikola Sarić finden, dessen Bemühen darauf gerichtet ist, die sinngetreue biblische Wahrheit darzustellen.

Auszug aus „Nikola Sarić: Irdische Geschichten mit himmlischer Bedeutung“, Hannover 2015, ISBN 978-3-00-050210-1

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